Familienchronik 1848 - 1899
Das Revolutionsjahr 1848
Zwei Jahre später, am 27. Februar 1848, überrascht eine Nachricht aus Paris die deutsche Öffentlichkeit: In der französischen Metropole ist der König gestürzt worden. Anhaltende Barrikaden - und Straßenkämpfe fordern - wie schon 1830 - Tote und Verletzte bei Aufständischen und Verteidigern des Systems. Doch diesmal springt der Revolutionsfunke auf Deutschland über, das noch immer unter dem Eindruck der Hungerrevolten vergangener Jahre steht: Die Kartoffelfäule vernichtet zwischen 1845 und 1847 nahezu die ganze Ernte und löst eine schwere Agrarkrise aus. 1847 lähmt eine Wirtschaftskrise Manufaktur und Industrie. 1847/48 führt ein strenger Winter zu Hungersnot und Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. In Mannheim brechen die ersten Unruhen aus. Noch am Tag des Eintreffens der Meldung aus Paris reichen 2500 Teilnehmer einer spontan einberufenen Volksversammlung einer Petition bei der badischen Regierung in Karlsruhe ein. Sie fordern mit Nachdruck:
eine Volksbewaffnung mit freier Wahl der Offiziere
unbedingte Pressefreiheit
Einführung von Schwurgerichten nach englischem Vorbild
sofortige Errichtung eines Nationalparlaments
Diese Punkte werden zu den wichtigsten Forderungen der „Märzrevolution“ in ganz Deutschland. In rascher Folge schließen sich viele andere deutsche Staaten an. Wieder einmal herrscht Jubelstimmung unter dem Schwarz-Rot-Goldenem Banner der patriotischen Bewegung. Auch in der österreichischen Heimat unserer Ahnen hat eine den deutschen Mittelstaaten ähnliche Entwicklung eingesetzt, nur dass die gemäßigten liberalen Kräfte sehr rasch von radikalen Revolutionären verdrängt werden. In den Wirren des Umbruchs und revolutionärer Auftriebe kommt am Donnerstag, dem 2. März 1848 (Unsinniger Pfinztag) das zweite Kind und erste Sohn des Joseph Filpe (III.4) und der Verkonika (geborene Wolf) im Haus Nr. 24 zur Welt. Er wird am Freitag, dem 3. März 1848 (Rußiger Freitag) auf den Namen Joseph Filpe (IV.2) getauft. Joseph und Veronika Filpe scheinen zwischen 1843 und 1848 vom Haus Nr. 76 am Ostufer des Weidenbachs ans Westufer ins Haus Nr. 24 gezogen zu sein. Es ist in direkter Sichtweite zum Haus Nr. 76 und wurde schon ab 1819 von Joseph Filpe seniors (III.4) Großeltern Anton Filpe (I.1)und Regina (geborene Paschkin) bewohnt und kam wohl im Wege der Erbfolge an Joseph Filpe senior (III.4). Zehn Tage drauf, am 13. März 1848, gehen in Wien Fabriken, Leihhäuser, Steuerämter und Geschäfte in Flammen auf. Das Militär schießt auf die unbewaffneten Demonstranten und tötet 48 von ihnen, weicht aber vor dem Ansturm zurück. Kaiser Ferdinand I. Flieht nach Innsbruck, Metternich dankt ab und rettet sich nach London, in jene Stadt, in der wenige Wochen zuvor, Ende Februar, Karl Marx und Friedrich Engels das epochale „Manifest der kommunistischen Partei“ veröffentlichten. Diese Kampfschrift legt erstmals die kommunistische Theorien zur Entwicklung der menschlichen Gesellschaft dar. Dagegen führt die Nachricht vom Sturz Metternichs am 18. März in Berlin zu einer Massenkundgebung vor dem Berliner Schloss. Mit Nachdruck stellen die Demonstranten die gleichen Forderungen wie die Revolutionäre in Wien: Pressefreiheit, Einberufung aller Provinzialstände, bewaffnete Bürgerwehr. Und wie in Wien eröffnet Infanterie das Feuer, um den Platz zu räumen. Dreizehn Stunden dauert der Kampf, 303 Demonstranten, meist Gesellen, Handwerker, Arbeiter und Studenten, lassen ihr Leben. In der Nacht zum 19. März befiehlt König Friedrich Wilhelm IV. Die Feuereinstellung und richtet selbst verfasste Proklamation „An meine lieben Bürger“. Am gleichen Tage beruft der Monarch eine neue, liberale Regierung erlaubt die Aufstellung einer Bürgergarde, die für die Herstellung der Ordnung sorgen solle, und befiehlt dem ultrakonservativen Prinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm I., nach London zu gehen. Die Bevölkerung hält den Prinzen für die Exzesse des Militärs verantwortlich.
Der Einklang Frankfurts und seiner Bürger mit der revolutionären Schöpfung, dem ersten frei gewählten gesamtdeutschen Parlament, wird am 18. Mai 1848, dem Tag der feierlichen Eröffnung der „Verfassungsgebenden deutschen Reichs-Versammlung“, besonders deutlich. In einem Meer von schwarz-rot-goldenen Fahnen und unter dem Jubel tausender Frankfurter ziehen die Abgeordneten der Nationalversammlung in die Paulskirche ein. 649 Mitglieder zählt die Versammlung, nur die Böhmen boykottieren das Parlament, sie fühlten sich dem multinationalen österreichischen Kaisertum stärker verbunden als dem nationalen Deutschland.
Das Überwiegen der konservativen Kräfte entscheidet schließlich das Schicksal der Paulskirche und Deutschlands. Den meisten Abgeordneten ist mehr an einem gütlichen Arrangement mit den Herrschern gelegen, als an der Macht des Volkes. Mit großer Bestürzung muss die Linke zur Kenntnis nehmen, dass die Revolution ohne Verbesserung der Lage für die unteren Volksklassen im Sande zu verlaufen droht. Doch auch die „Aprilrevolution“, die ihren Ausgang in Baden nimmt, holt den dynamischen Geist der Märzerhebung nicht mehr zurück. Erzherzog Johann von Österreich, wegen seiner liberalen und mit dem Bürgertum sympathisierenden Haltung in Deutschland geachtet, wird mit 81,04 % der Stimmen die Funktion eines Reichsverwesers übertragen (24. Juni 1848) . Auf Dauer kann er ihr jedoch nicht gerecht werden. Er schwankt zwischen den Verpflichtungen als Mitglied des österreichischen Kaiserhauses und den Bestrebungen der Paulskirche, das Reich zu einigen, und findet keine klare politische Linie. Zudem stößt er mit dem Bekenntnis zur „Großdeutschen Lösung“, dem Zusammenschluss aller deutschen und österreichischen Länder, zunehmend auf Widerstand jener Gruppen, die das „kleindeutsche“ Projekt befürworten. Die Nationalitätenfrage, nicht nur die Österreichs, sondern auch die Deutschlands, belastet daher die Konstruktion der Verfassung von Anfang an. Besonders für Deutschland und das Kaisertum Österreich entstehen neue Konflikte. Ihre Territorien schließen viele Völker anderer Nationalitäten mit ein. Es stellt sich daher die Frage: Wo liegen denn überhaupt die Grenzen eines Deutschen Reiches? Etliche Abgeordnete, die auf der Wartburg und in Hambach große Worte führen konnten, stehen jetzt in der Paulskirche vor diesem ernsten Problem.
Auch das am 5. Oktober 1841 zum ersten Mal öffentlich vorgetragene „Lied der Deutschen“ des Breslauer Germanistikprofessors August Heinrich Hoffmann ändert daran nichts. Hoffmann nennt sich nach seinem Geburtsort „von Fallersleben“. Er studierte die deutsche Volksdichtung und empfand ihr manche Lieder nach, die heute noch zum Allgemeingut zählen: „Alle Vöglein sind schon da“ zum Beispiel oder „Kuckuck ruft´s aus dem Wald“. Seltsamerweise wird sein neues Deutschlandlied, das mit den Versen „Deutschland, Deutschland über Alles“ beginnt, nicht mit Begeisterung aufgenommen. Liegt es daran, dass er in dichterischer Freiheit das Deutschland, nach dessen Grenzen so emsig gesucht wird, „...von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt...“ sich erstrecken lässt? Weil Maas und Memel, Etsch und Belt in gemischtsprachigen Gebieten liegen, über deren Zugehörigkeit Liberale und Demokraten heftig diskutieren?
Nicht nur im Osten, auch im Norden verschwimmt die Grenze eines deutschen Nationalstaates im diffusen Licht unterschiedlicher Interessen. Der Anspruch der Dänen, die Herzogtümer Schleswig und Holstein gegen ihren Willen einem dänischen Nationlastaat einzuverleiben, entfacht einen Krieg, der halb Europa mit einbezieht (21. März 1848). Der dänisch - deutsche Konflikt ruft England und Russland auf den Plan. Ihre übereinstimmenden Bemühungen, Dänemark und Preußen an den Verhandlungstisch zu bringen, führen zum Waffenstillstand vom 26. August 1848.
Der Krise fällt das Kabinett zum Opfer, sie leitet die Wende in der Geschichte der Paulskirche ein. Der Österreicher Anton von Schmerling übernimmt den Vorsitz des Reichskabinetts und bringt die Abgeordneten dazu den „Malmöer Frieden“ am 16. September 1848 anzunehmen. Währenddessen droht dem Deutschen Bund neue Gefahr. Der auf dem Wiener Kongress gegründete Freistaat Krakau ist zum Sammelbecken nationalpolnischer Freiheitskämpfer geworden. Ihren Aufstand beendet Österreich mit der Besetzung des Freistaates, doch der Revolutionsfunke glimmt weiter. Nach Ausbruch der Pariser Revolution im Februar 1848 springt er im April nach Posen und im Juni nach Prag und Wien über. Die Revolution in Wien gilt für die deutschen Demokraten als beispielhaft. Vier ihrer Abgeordneten reisen in die Donaumetropole. Sie erreichen die Stadt als die Konterrevolutionäre bereits blutige Abrechnung unter den Aufständischen halten. Sie werden ungeachtet ihrer Immunität als Abgeordnete der Paulskirche wegen Verdachts auf Hochverrat am 9. November 1848 erschossen. In der Heimat unserer Ahnen, in der nahen Kreisstadt Freiwaldau und deren Vorort Niederlindewiese, kommt es im Juli 1848 bis Dezember 1848 auch zu verschiedenen revolutionären Bewegungen an denen einige unserer Ahnen auch teilgenommen haben werden, um ihrem Wunsch, der Vereinigung Deutschlands und Österreichs zu einem Deutschen Reich, Ausdruck zu geben.
Berlin fasst das als Signal auf: General Wrangel verhängt den Ausnahmezustand, löst Bürgerwehren auf und verbietet Versammlungen. Die Revolution bricht zusammen. Im Österreichischen Kaisertum hält der Aufstand in Ungarn weiter an, er kann nur mit massiver russischer Hilfe niedergeschlagen werden.
Obwohl die Würfel bereits im November 1848 gefallen sind und sich die Niederlage der Revolution abezeichnet, bemühen sich die linken Fraktionen der Paulskirche, die demokratischen Errungenschaften der Märzrevolution zu retten. Der Versuch, der Konterrevolution entgegenzutreten, kommt zu spät. Das verängstigte Bürgertum paktiert bereits mit den alten Gewalten, die ihr konstitutionelle Zusagen macht. Das Bürgertum wendet sich von der revolutionären Bewegungen ab. Dennoch werden in der Paulskirche Debatten über ein gesamtdeutsches Staatsgrundgesetz geführt (26. September und 3. Oktober 1848) . Zunächst gilt es, die Grenzen eines künftigen Deutschen Reiches festzulegen, in denen die neue Verfassung wirksam werden soll. Österreich mit seinen über die Grenze des Deutschen Bundes hinausreichenden Terretorien bildet bei den Beratungen ein unüberwindliches Hindernis. Viele Abgeordnete befürworten eine „kleindeutsche“ Lösung, die Österreich und somit unsere Filpe-Ahnen aus dem Deutschen Reich ausschließt. Dieser Vorschlag stößt nicht nur bei Österreich auf Ablehnung, das sich auf Grund der gemeinsamen Sprache, Kultur und Geschichte, die es über Jahrhunderte prägten, zu Deutschland gehörig betrachtet. Auch viele der mittleren Staaten - wie zum Beispiel Bayern - plädieren für die Aufnahme Österreichs, weil sie die Vormachtstellung des protestantischen Preußen fürchten. Die Kleindeutschen hingegen schrecken vor dem hohen Anteil an slawischen Völkern zurück, den Österreich in das Reich mitbringen würde. Schließlich liegt der Vorschlag des Verfassungsausschusses auf dem Tisch, er präzisiert in § 2: „Kein Teil des Deutschen Reiches darf mit nichtdeutschen Ländern zu einem Staat vereinigt sein.“ Das heißt Österreich hätte die staatsrechtliche Bindung zu seinen übrigen, nichtdeutschen Territorien zu lösen und auf ein dynastisches, völkerrechtliches Verhältnis zu beschränken. Fürst Schwarzenberg, nach der Inthronisation des jungen habsburgischen Kaisers Franz Joseph I. Mit den österreichischen Regierungsgeschäften betraut, protestiert. Aus dem kleinen mährischen Städtchen Kremsier, wohin der österreichische Reichstag in den Wiener Revolutionswirren verlegt worden ist, gibt er am 27. November 1848 bekannt: „Österreichs Fortbestand in staatlicher Einheit ist ein deutsches wie ein europäisches Bedürfnis. Erst wenn das verjüngte Österreich und das verjüngte Deutschland zu neuen und festeren Formen gelangt sind, wird es möglich sein, ihre gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen.“ Damit stellt Schwarzenberg die Anhänger der „großdeutschen“ Lösung kalt. Anton von Schmerling, ein Verfechter dieses Programms, tritt zurück und macht Heinrich von Gagern Platz.
Der liberale, aus Bayreuth stammende Gagern, neigt zwar den Kleindeutschen zu, tritt jedoch nicht entschieden gegen die großdeutsche Lösung auf, deren Vorteile für die Einheit des Reiches der durchaus erkennt. Gagern entwickelt den Kompromiss eines Doppelbundes: Ein nationalstaatlicher Bund Deutschland soll mit einem österreichischen Staatenbund eine Vereinigung bilden, eine komplizierte Konstruktion, aber nicht unrealistisch, wie der „Zweibund“ von 1879 beweisen wird. Noch ist die Zeit dafür nicht reif. Zu viel Neues stürzt auf die Abgeordneten der Paulskirche ein, die mit ihrem Mangel an Erfahrung, Wissen und Demokratieverständnis schwer zu kämpfen haben.
Schmerling, der Österreich wieder als Abgeordneter vertritt, ist mit dem Vorschlag Gagerns nicht einverstanden: Österreich sei noch immer eine deutsche Bundesmacht und es beanspruche, an der künftigen Gestaltung des Deutschen Reiches mitzuwirken. Schwarzenberg stimmt den Ausführungen zu und legt sich mit seiner Idee eines multinationalen, mitteleuropäischen „70 Millionen-Reiches“ (40 Millionen Österreicher, 30 Millionen Deutsche) fest. Doch angesichts der nationalstaatlichen Trends ist dies eine unrealistische Vorstellung.
Gagern hat inzwischen über den Vorschlag, ein deutsches Erbkaisertum zu errichten, abstimmen lassen und es wurde mit nur vier Stimmen Differenz angenommen. Schon am folgenden Tag wird die Reichsverfassung verkündet und Friedrich Wilhelm IV. Von Preußen zum Reichsoberhaupt gewählt. Am 3. April 1849 bietet die Frankfurter Nationalversammlung dem König die Kaiserwürde an. Friedrich Wilhelm IV. Findet nur Schmähworte: Er wolle das „eiserne Halsband“ nicht annehmen, durch das er „zum Leibeigenen der Revolution gemacht“ werden solle. Die Annahme der Kaiserkrone macht er vom Einverständnis aller deutschen Fürsten abhängig. Am 28. April formuliert er endgültig die Absage. Für die Österreicher ist die Errichtung eines deutschen Erbkaisertums ein schwerer Affront. Bereits am 5. April 1849 zieht die Regierung ihre Abgeordneten aus der Frankfurter Nationalversammlung ab. Gagern gelingt es zwar, noch 28 kleine und mittlere deutsche Teilstaaten zur Annahme der Verfassung zu bewegen, in Wirklichkeit ist die geplante deutsche Einheit an der Österreich-Frage gescheitert.Nun versucht die Linke auf eigene Faust zu retten, was an demokratischen Errungenschaften noch zu retten ist. Noch einmal marschiert die Revolution und flammt in jenen Teilstaaten auf, die sich der Reichsverfassung verweigern, in Preußen mit dem Schwerpunkt in Schlesien, im Rheinland, in Württemberg, Sachsen, Bayern mit dem Zentrum München, in Franken, der Pfalz und Hannover. Die Revolution ist von vornherein zum Scheitern verurteilt: Die Bauern halten treu und loyal zu den Fürsten. Und da die preußische Armee zu 80 % aus Bauernsöhnen besteht, kommt sie der Pflicht, die Aufstände zu zerschlagen, mit besonderem Eifer nach. Auf den neuen Eisenbahnlinien gelangen die preußischen Truppen rasch von einem Kampfplatz zum anderen. Unter dem Kugelhagel ihrer modernen schnellfeuernden Zündnadelgewehre bricht die Revolution schließlich am 23. Juli 1849 zusammen. Am 18. Juni 1849 gibt der württembergische Ministerpräsident Friedrich von Römer seinen Dragonern den Befehl, die Paulskirche zu stürmen. Gewaltsam werden die letzten noch verbliebenen Abgeordneten der Nationalversammlung vertrieben, der Reichsverweser Johann wird entlassen. Der Traum von der Errichtung eines alle Deutschen umfassenden Nationalstaates auf freiheitlicher Basis ist zu Ende.
Die Spannungen um Neuordnung und Vorherrschaft in Deutschland zwischen Preußen und Österreich steuern 1850 auf einen Krieg zu. Er wird nur durch die Haltung der mittleren deutschen Staaten verhindert, die Preußen nicht unterstützen. In der Punktation von Olmütz, etwa 100 km östlich von Jungferndorf, vom 29. November 1850 beschließen Wien und Berlin, gemeinsam mit den übrigen deutschen Staaten über die Reform des Deutschen Bundes zu verhandeln. Doch Ergebnisse bleiben aus. Die preußisch-österreichicsche Rivalität verfolgt nur noch das Ziel, den Konkurrenten zu übervorteilen. Preußen, durch den Wiener Kongress als machtpolitisch gewichtiger Staat wiederhergestellt, verbindet zum ersten Mal in seiner Geschichte den äußersten Westen Deutschlands mit dem äußersten Osten. Diese geographische Ausdehnung stellt das Königreich vor neue Aufgaben, besonders in der Außenpolitik.
Ein „Vierkönigsbündnis“ der Mittelstaaten Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg vom 27. Februar 1850, die auf Aufnahme der Habsburgermonarchie samt ihrer nichtdeutschen Teile bestehen, zerbricht. Für unbeteiligte Beobachter ist die Politik der Mittelstaaten offenkundig, sie ziehen die österreichische Hegemonie der preußischen vor. Die Entscheidung fällt durch die Mehrheit der „Erbkaiserlichen“, der Entwurf passiert beide Häuser. Schon am 8. Mai 1850 kommt das Verfassungsprojekt zu Fall, da nur Preußen bereit ist, es anzunehmen, nicht aber der Fürstenkongress in Berlin. Im Herbst 1850 verhindert Österreich eine konstruktive Weiterführung der nationalen Einigung unter preußischer Führung. Franz Joseph I. Schließt am 11./12. Oktober 1850 in Bregenz mit den Königen von Bayern und Württemberg ein Schutz- und Trutzbündnis mit dem Ziel, den Deutschen Bund wiederherzustellen. Widerstand gegen Bundesbeschlüsse soll mit der Bundesexekution beantwortet werden. Dieser Ernstfall tritt am 8. November 1850 ein, als Hessens Kurfürst Friedrich Wilhelm I. Im Streit mit den Ständen seines Landes Bundeshilfe anfordert. Dem Wunsch wird entsprochen ein bayrisch-österreichisches Heer unter Fürst Taxis marschiert in Kurhessen ein. Gleichzeitig aber rücken preußische Abteilungen unter Karl Graf von der Gröben in das nominell zur „Union deutscher Staaten“ - kurz „Erfurter Union“ - gehörende Land ein. Bei Bronnzell südlich von Fulda geraten Vorhuten in Gefechtsberührung: Fünf österreichische Jäger erleiden Verwundungen und - ein preußisches Pferd, der „SChimmel von Bronnzell“, wird verletzt, meldet der Tagesbericht. Ein „Bruderkrieg“ kündigt sich an. Zar Nikolaus I. Bietet Österreich seine Hilfe an, sollte es zum Kampf mit Preußen kommen.
So sitzen Preußen und Österreich am 29. November 1850 im mährischen Olmütz wieder gemeinsam am Verhandlungstisch und alle wissen, dass Preußen einige Restriktionen wird hinnehmen müssen. Zunächst muss es die Besetzung Kurhessens durch die „Strafbayern“, wie das Volk sie bezeichnet, über sich ergehen lassen. Weiter vereinbart Otto von Manteuffel mit dem österreichischen Vertreter Fürst von Schwarzenberg ein gemeinsames Vorgehen in Schleswig-Holstein, dessen innenpolitische Krise noch immer andauert. Darüber hinaus wird die „Erfurter Union“ außer Kraft gesetzt, dafür soll die gesamtdeutsche Frage in Dresden durch eine Ministerialkonferenz im Detail erörtert werden. Diese Abmachung, die „Olmützer Punktation“ , wird zum Begriff einer preußisch-österreichischen Verständigungspolitik. Deutsche nationale Geschichtsschreiber verurteilen sie als „Schmach von Olmütz“, aber sie beendet immerhin für mehr als ein Jahrzehnt die innenpolitischen hegemonialen Rivalitäten der beiden deutschen Großmächte. Ihre Bereitschaft zu verhandeln resultiert jedoch nicht aus der Einsicht, inneren Frieden zu schaffen, sondern erfolgt unter dem Druck der Notwendigkeit: Beide Länder halten sich nur über die Bajonette ihrer Militärs an der Macht. Ob diese ein weiteres revolutionäres Aufbegehren niederzwingen können, ist ungewiss.
Die „Olmützer Punktation“ dient nicht nur dem Ausgleich innerdeutscher Vormachtsansprüche, sondern steht im Schatten einer koordinierten gemeinsamen antirevolutionären Innenpolitik. Der Vertrag von Olmütz stellt den Bundestag wieder her. Preußen kehrt in den Bundestag zurück, sein neuer Bundesgesandter heißt Otto von Bismarck. Er arbeitet fortan auf den Bruch mit Österreich zu. Preußen ist seit Ende 1848 Verfassungsstaat, Österreich schwankt zwischen Verfassung und Absolutismus.
Nachdem die Wirren der Revolution nun wieder in vermeintlich ruhigeres Fahrwasser übergegangen sind, wird am Mittwoch, den 26. Februar 1851 in Jungferndorf Nr. 24 den Eheleuten Joseph Filpe (III.4) und Veronica (geborene Wolf) ihre zweite Tochter und drittes Kind, Anna Filpe (IV.3), geboren. Sie wird am 27. Februar 1851 getauft.
Preußen strebt nun nach der Führung in Deutschland. Diese erlangt es über ein Zoll- und Handelssystem, das innerhalb des Deutschen Bundes gut funktioniert und Österreich von der Teilnahme am Wirtschaftsmarkt der deutschen Länder fernhält. Außenpolitisch muß sich Preußen erst beweisen. Eine politisch unbedeutende Krise ist ein erster Prüfungsstein: Russlands Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich wegen der unter osmanischer Souveränität stehenden Meerengen. Zar Nikolaus I. Rechnet fest mit der diplomatischen Unterstützung Österreichs. Im Mai 1853 entsteht wegen solch einer Bagatelle eine schwere Krise. Russland nimmt sie zum Anlass, um der osmanischen Regierung (der „Pforte“) ein Ultimatum zu stellen: Es fordert die Anerkennung der Schutzherrschaft über die orthodoxen Christen des Osmanischen Reiches. Mit britischer und französischer Rückendeckung lehnt der Sultan diese Forderung ab, worauf am 3. Juli 1853 russische Truppen ohne Kriegserklärung in die osmanischen Donaufürstentümer Molau und Walachei einmarschieren. Auf britisch-französisches Anraten erklärt „die Pforte“ am 4. Oktober 1853 Russland den Krieg. Bald sehen sich auch Preußen und Österreich in die Krise einbezogen.
Auch Österreich zögert. Von den Revolutionsjahren 1848/49 noch geschwächt, fürchtet es einen großen Krieg und eine durch ihn verursachte soziale und nationale Revolution von unten. Wien sucht daher durch ein Defensivallianz Rückhalt in Berlin (20. April 1854). Das Abkommen erneuert ein nach den Dresdner Konferenzen von 1851 geschlossenes, von Preußen angeregtes Bündnis, in dem sich Berlin und Wien gegenseitig Schutz bei einem Angriff von Außen zusichern. Ein Zusatzartikel erweitert die Allianz: Er sieht ein offensives Vorgehen gegen das Zarenreich vor, sobald dieses die Donaufürstentümer annektiert. Berlin unterschreibt diese Allianz in der Hoffnung, Wien vor übereilten Aktivitäten abhalten zu können. Österreich fordert jedoch die Russen auf, die bereits an der serbischen Grenze stehenden Truppen zurückzunehmen. Gleichzeitig marschieren österreichische Verbände in die Donaufürstentümer Walachei und Moldau ein. St. Petersburg verurteilt die Haltung Wiens als grenzenlose Undankbarkeit nach der erwiesenen Hilfe bei der Niederschlagung der Revolution in Ungarn. Es schlägt gegenüber Österreich einen unversöhnlichen außenpolitischen Kurs ein. König Friedrich Wilhelm IV., er steht unter dem Einfluss des Bundestagsgesandten Otto von Bismarck, hält an der preußischen Neutralität fest. Bismarck ist es auch, der einen österreichischen, gegen Russland gerichteten Mobilisierungsantrag im Bundestag zu Fall bringt, indem er die Bundesmitglieder auf Kriegsbereitschaft zur „Abwehr drohender Gefahr in jeder Richtung“ festlegt. Den verlustreichen Krieg auf der Krim entscheiden die Westmächte schließlich für sich. Im September 1855 stürmen ihre Soldaten die Schwarzmeerfestung Sewastopol.
Mit Ernst Filpe (IV.4) kommt dann am Montag, den 3. Dezember 1855 im Haus Nr. 24 das vierte Kind und zweite Sohn der Eheleute Josef (III.4) und Veronica Filpe (geborene Wolf) zur Welt und wird am 4. Dezember 1855 in Jungferndorf getauft.
Auf der Pariser Konferenz vom 30. März 1856 schiebt sich ein Mann immer stärker in den Vordergrund, der Kaiser von Frankreich, Napoleon III.. Er bezieht seine Legitimation aus der Zustimmung der Massen und sieht es als seine vordringlich Aufgabe, nationale Minderheiten zu beschützen, die von multinationalen Mächten, wie dem Österreichischen Kaisertum, beherrscht werden. Dies gilt für die Polen in Russland, Deutschland und Österreich, mehr noch aber für die Italiener des multinationalen Österreich. Mit dem Hinweis, Österreich habe durch seinen Eintritt auf der Seite der Westmächte in den Krimkrieg die Grundkonstruktion des Wiener Kongresses, die „Heilige Allianz“ zerstört, fordert er eine generelle Revision des Wiener Vertragswerkes von 1814/15. In logischer Konsequenz beansprucht er die „natürliche“ Rheingrenze. Österreich befürchtet eine Verkleinerung seines Staatsgebietes und lehnt den französischen Plan ab. Preußen erkennt in den Forderungen Napoleons II. Eine Spitze gegen die eigene nationale Einigung und stimmt ebenfalls gegen die Neuauflage des „Europäischen Konzerts“- Außerdem bringt das Ende der Wiener Ordnung Preußen einen größeren politischen Handlungsspielraum, der sogar einen Krieg gegen Österreich ermöglicht.
Das fünfte Kind von Josef (III.4) und Veronica Filpe wird am Donnerstag, dem 4. März 1858 in Jungferndorf Nr. 24 geboren und am 5. März 1858 auf den Namen Albert Filpe (IV.5) getauft. Doch schon 14 Tage später stirbt der kleine Albert am Josephitag, dem 19. März 1858. Die Säuglingssterblichkeit ist ein großes, trauriges Problem dieser Jahre. In manchen Städten des Deutschen Reiches beträgt der Anteil verstorbener Säuglinge 35 bis 40 % aller Toten. In Berlin zum Beispiel liegt die Säuglingssterblichkeit während des ersten Lebensjahres in den 1860er Jahren bei 31,5 %, in einigen bayrischen Landkreisen liegt sie noch höher. In Ingolstadt bespielsweise überschreitet sie in manchen Jahren sogar die 50%-Marke. Vor allem heiße Sommer lassen die Säuglingssterblichkeit auf dem Lande sprunghaft ansteigen, nahezu ein Drittel aller verstorbenen Babys wird in Sommermonaten registriert. Hier, in der „guten Landluft“, abseits der Schadstoffe städtisch-industrieller Reviere, kommen seltsamerweise mehr Kinder zu Tode als in den unwirtlichsten Gegenden des Deutschen Reiches. Ausschlaggebend dafür ist die Mentalität der bäuerlichen Gesellschaft, die werdenden Müttern nur wenig Verständnis und Anteilnahme entgegenbringt. Männer verhalten sich gegenüber Schwangeren gleichgültig. „Kühverrecke, große Schrecke; Weibersterbe kein Verderbe“, sagt bezeichnenderweise ein hessisches Sprichwort. „Sechs Wochen vor und ebensoviel Wochen nach dem Fohlen von allen Frohnen befreyet gelassen werden“, das gönnt, laut dem süddeutschen Chronisten Wilhelm Heinrich Riehl, der Bauer seinen Stuten, nicht aber der schwangeren Bäuerin.
Nun legt Sardinien-Piemont die „Italienische Frage“ auf den Tisch und greift die Herrschaft der Habsburger in Oberitalien vehement an. Napoleon III. Redet den Piemontesen eifrig das Wort und fordert kurz und bündig, Österreich möge sich endlich aus Italien zurückziehen. Man beschließt heimlich, Österreich zum Krieg gegen Sardinien-Piemont zu provozieren; Frankreich würde dann auf piemontesischer Seite eingreifen. Das geheime Abkommen unterzeichnet Napoleon III. Am 10. Dezember 1858. Österreichs Außenpolitiker merken nichts von der Falle. Als Piemont der Aufforderung, Fahnenflüchtige aus den österreichisch beherrschten lombardisch-venetischen Provinzen auszuliefern, nicht nachkommt, droht Wien mit einem Militärschlag. Piemont zeigt sich unbeeindruckt, es verstärkt seine Truppen an der Grenze und mißachtet das österreichische Ultimatum. Das bedeutet Krieg am 23. April 1859. Österreich taumelt in eine außenpolitisch nicht abgesicherte und daher äußerst prekäre Lage.
Denn Frankreich konnte zwischenzeitlich Russland für eine wohlwollende Neutralität gewinnen. Dazu bedurfte es - angesichts der seit dem Krimkrieg bestehenden Spannungen - keiner großen Mühe. Während die österreichischen Truppen von einer Niederlage zur nächsten stolpern, tobt in der deutschen Presse „eine Meinungsschlacht, als stehe die Lösung der deutschen Frage unmittelbar bevor“. Mit Nachdruck fordern die deutschen Patrioten den Kriegseintritt, um Frankreich den letzten entscheidenden Schlag zu versetzen. Friedrich Engels, Weggefährte von Karl Marx und Mitbegründer des „wissenschaftlichen Sozialismus“, ruft zur Solidarität mit Österreich auf: „Einer von uns wurde angegriffen, und zwar von einem Dritten, der mit Italien nichts zu schaffen, desto mehr Interesse an der Eroberung des linken Rheinufers hatte, und diesem gegenüber - Louis Napoleon, den Traditionen des ersten französischen Kaiserreiches gegenüber - müssen wir alle zusammenstehen.“ Anders der aus Breslau stammende sozialdemokratische Politiker Ferdinand Lasalle. Der Sohn des jüdischen Seidenhändlers und Bankiers Lassal, der berufsbedingt von französischem Kapital abhängig ist, warnt, gegen Frankreich mobil zu machen. Dies würde, so Lassalle, „in weitesten industriellen Kreisen das Vertrauen aufs Tiefste erschüttern.“ Er fordert „Österreich muss zerfetzt, zerstückelt, vernichtet, zermalmt - seine Asche muss in alle Winde zerstreut werden!“
Auch Bismarck, wegen seiner antiösterreichischen Haltung des Bundestagsmandats enthoben und ins Botschaftsexil nach St. Petersburg entsandt, schreibt ähnlich. Es sei an der Zeit, die deutsche Frage im Bündnis mit Frankreich und mit wohlwollender Neutralität Russlands gewaltsam zu lösen und das Königreich Preußen in ein Königreich Deutschland zu wandeln. Schon die ersten Kriegstage decken die Schwächen der österreichischen Armee auf: Korruption, Günstlingswirtschaft, ein als Feldherr untauglicher Kaiser und unfähige Offiziere. Planlos marschieren die Truppen in Erwartung des Feindes im Land umher und versäumen, die Vereinigung der sardinischen Armee mit der französischen zu unterbinden. Zwei Monate verstreichen ungenützt, erst im Juni 1859, bei sommerlicher Hitze, prallen die Armeen aufeinander. Der Blutzoll der Schlachten von Solferino, Custozza, Montebello und Magenta ist gewaltig. „In den Straßen, Gräben, Bächen, Gebüschen und Wiesen. Überall liegen Tote, und die Umgebung von Solferino ist im wahrsten Sinne des Wortes mit Leichen übersät“, schreibt der Augenzeuge und Schweizer Philantrop Henri Dunant. Die Anwendung einer neuen Artilleriewaffe, die zu Splittern berstende Granaten verschießt, verstümmelt die menschlichen Leiber auf grauenhafte Weise. Dunant gründet unter dem Eindruck dieses Gemetzels am 22. August 1864 in Genf das „Rote Kreuz“.
Als Preußen angesichts des katastrophalen militärischen Versagens der Österreicher schließlich doch mobilmacht, bequemt sich Napoleon III. Am 8. Juli 1859 zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Drei Tage später einigt sich der Kaiser Franz Joseph I. Über die Gründung einer italienischen Konföderation, deren Ehrenvorsitz der Papst übernehmen soll. Wichtiger noch ist die französische Bedingung - Abtretung der österreichischen Lombardei an Frankreich, das es an Sardinien-Piemont weitergibt. In Villafranca, einem Ort bei Verona, wird am 11. Juli 1859 der Friedensvertrag unterzeichnet. Die Verdrängung der Donaumonarchie aus Oberitalien, dann auch aus Deutschland, ist eingeleitet. Die deutsche Nationalbewegung, nach der Revolution mit dem Hauch des Hochverrats behaftet, erwacht nach dem Italienischen Krieg wie aus einem Winterschlaf. Nach einem Jahrzehnt brechen längst vergessen geglaubte nationale Empfindungen explosionsartig hervor, kristallisieren sich um Friedrich Schillers 100. Geburtstag am 10. November 1859 und kulminieren in Dichtungen, Festivitäten, Vereinsgründungen und Jubelfeieren. An allen Orten erinnern Nachbildungen der „Germania auf der Wacht am Rhein“ daran, dass der vermeindliche Feind an der Westgrenze des Reiches zu suchen sei. Liberalismus und Nationalismus schwappen wie eine Woge über das ganze Land. Das Jahr 1859 bringt denn auch den großen Wandel in Preußen. Die Mitglieder der „Wochenblattpartei“, die die Macht der Ultrakonservativen brechen wollen, ändern mit ihrem Wechsel in die Staatskanzlei ihre Einstellung nicht. Verlor die „Wochenblattpartei“ bis 1855 auch zunehmend an Einfluss, so liegt es nicht am Programm, das einen Verfassungsstaat unter preußischer Hegemonie fordert, sondern an mangelnden politischen Interesse der Bürger. Nun aber, in der allgemeinen Aufbruchstimmung, kann die „Neue Ära“ auf guten Zuspruch hoffen. Tatsächlich wird sie bei den Landtagswahlen mehrheitlich bestätigt.
In unserer Familie kommt es nach etwa 16 kinderlosen Jahren am Samstag, dem 9. Juni 1860 in Jungferndorf Nr. 22 zur Geburt des ersten Kindes, Albert Filpe (IV.1), des frisch vermählten 25 jährigen Sohnes von Johann Filpe (II.2) und Theresia (geborene Brauner), Josef Filpe (III.2) und dessen Ehefrau Sofie (geborene Samen), Tochter des Florian Samen und der Theresia (geborene Hauke). Es ist gerademal zwei Jahre her, dass im Nachbarhaus Jungferndorf Nr. 24 des Joseph Filpe (III.4) und der Veronica (geborene Wolf), der kleine Albert Filpe (IV.5) im Alter von nur zwei Wochen starb. Dieses Ereignis bewegte wahrscheinlich die jungen Eltern Josef (III.2) und Sofie Filpe ihren Erstgeborenen Albert Filpe (IV.1) nach dem verstorbenen Kind zu nennen. Der Schneider, Johann Filpe (III.18), Sohn des in Großkrosse lebenden Schneiders Alois Filpe (II.7) und dessen Ehefrau Theresia (geborene Bunde), heiratet um 1860 in Großkrosse die Karoline Hannig. Sie wurde als Tochter des aus Neurothwasser stammenden Ehepaares Franz Hannig und Theresia (geborene Titze) in Neurothwasser geboren. Alois Filpe (II.7) wurde am 31. August 1811 in Jungferndorf als Sohn des Michael Filpe (I.1) geboren. Er wurde auf den Namen Joseph Aloisius Filpe getauft und später nur noch Alois gerufen. Während Alois Filpes Geschwister weiterhin in Jungferndorf lebten, ging er als junger Mann schon nach Großkrosse, um das Schneider-Handwerk zu erlernen. Alois Filpe bekam seine Kinder, die vier Söhne, in Großkrosse, wo er auch als Schneider arbeitete.
Eine Heeresreform wird dringlich, als bei der Mobilmachung im Italienischen Krieg organisatorische Mängel zu Tage treten. Um dem abzuhelfen, fordern der Prinzregent und das 1858 erneuerte Militärkabinett eine umfassende Heeresreform, die eine Anhebung der Friedenspräsenzstärke vorsieht. Höhere Kosten soll eine Erhöhung des Heeresbudgets decken, die aber das Abgeordnetenhaus strikt ablehnt. Immerhin genehmigt es provisorisch die bereits begonnene Reorganisation. Das verstehen König und Konservative als Zustimmung zur Reform. Das Missverständnis artet 1862 in einen emotional geführten Verfassungsstreit aus, der die Regierung veranlasst, am 17. März den widersprechenden Landtag - die „Neue Ära“ - aufzulösen. Ein neues ultrakonservatives Beamtenkabinett übernimmt im September 1862 unter Otto von Bismarck die Regierung. Bismarck die Regierung anzuvertrauen ist ein Wagnis, denn der König kann ihn nicht ausstehen und Königin Augusta hasst ihn geradezu. Seine Bestellung zum Kanzler zeigt sich später als ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung.
Das junge Ehepaar Johann (III.18) und Karoline Filpe lebt in Großkrosse Nr. 5. Johann Filpe (III.18), Sohn des Schneiders Alois Filpe (II.7), arbeitet ebenfalls als Schneider. Sie bekommen am Samstag, den 12. April 1862 dort ihr erstes Kind, Robert Filpe (IV.11), der am folgenden Palmsonntag, den 13. April 1862 in Großkrosse getauft wird. Die Taufe in der damals erst 62 Jahre alten Kapelle zu Großkrosse wird von Kaplan Meinzel vollzogen, der seitdem der seit 1837 amtierende Adam Wagner um 1861 zum Erzpriester ernannt wurde, die Pfarre Weidenau, der Großkrosse unterstellt ist, innehat. Mitten im Dorfe, wo sich die Dorfstraße zu einem Platze erweitert, liegt die im Barockstil massiv gebaute Kapelle. Die Anregung zum Bau selbst ging von 1796 tödlich erkrankten Müllerin Katharina Schnaubelt aus, die infolge einer wunderbaren Heilung einen ansehnlichen Beitrag zu einem Kirchel gab. Der Rest dürfte von der Gemeinde aufgebracht worden sein. Der Müllermeister Schnaubelt wurde später Bürgermeister und Kirchvater in Weidenau. Im Jahre 1823 starb dieser große Kirchenfreund. Der Erbscholze Franz Schnaubelt ist, wie es noch auf seinem Grabstein heißt: „Unvergeßlich der Gemeinde wegen Erlangung eines Ortsseelsorgers“. Hinter dem Altare befindet sich mit einer Steinplatte vermauert eine 25 Zentimeter im Quadrat große Gedenktafel, in der diese Veranlassung zur Entstehung des Krosser Kirchleins eingemeißelt ist. Ein farbiges Bild stellt die Kranke im Bett liegend dar. Darunter steht folgendes: „Im Jahre 1796: Erkrankte Tedlich Katharina Schnaubeltin, Millermeisterin, gebohrene Franklin Haus Nr. 63, wo alle Menschen Hülfe verlohren war. Nahme die Zuflucht zu Maria, und gelobte ihr zu Ehren nach erhaltener Gesundheit einen Ansehnlichen beytrag zu einem Kirchel zu machen, wo ich augenblicklich meine Vollkommene Gesundheit erhült. Mein Ehman Franz zeigt es dem damaligen Solzen Straube an, selber der Ganzen Gemeinde den 2. Februarius. Und jeder Insas nahm es mit größter Freude an. Wo also mit unermüdlicher Eyfer Franz Schnaubelt und Josef Straube den bau betreiben bis zu Ein vollkommener ausfertigung und war bey von der Gemeinde als Werkführer angestellt.“
Nach dem von Pfarrer Josef Schuberth im Jahre 1804 begonnenen Pfarrbuche is die öffentliche Kapelle zu Großkrosse „von der Gemeinde erbaut worden, welche die alle fünf Jahr zu erneuernde Erlaubniß, da hl. Messen lesen zu können, hat. Ihre Unterhaltung muß aber von der Gemeinde bestritten werden, weil sonst niemand die Last auf sich genommen hat“. Diese alle fünf Jahre zu erneuernde Erlaubnis wurde dann später ganz allgemein bis zum Widerruf gegeben. Das entsprechende Schriftstück befindet sich in der Sakristei der Kapelle. Am 19. Januar eines jeden Jahres findet eine Danksagungsmesse statt aus Anlaß der eine zeitlang entzogenen und dann wieder erteilten Erlaubnis, das Allerheiligste aufbewahren zu können. Als Gelöbnistage werden von der Gemeinde besonders gefeiert: Der 14. Februar (Valentin), der 4. Mai (Florian), der 13. Juni (Antonius v.P.) und der 16. August (Rochus). Neben dem Altare befindet sich auf der linken Seite die Statue des heiligen Ceslaus, auf der der rechten die des heiligen Hyacinth. Interessant ist wohl noch die Frage, wem die Kapelle geweiht ist. Darüber herrschen verschiedene Anschauungen. Fast ganz allgemein wird angenommen, dass die Kapelle dem heiligen Florian geweiht ist. Anlaß zu dieser Meinung mag das große Bild des heiligen Florian hinter dem Altare gegeben haben. Auch im „Inventarium“ der Weidenauer Pfarrei ist sie als „Kapelle ad Stum Florianum“ geführt. Dass der Gelöbnistag am 4. Mai (Floriani) zu dieser Annahme Anlaß gegeben hat, scheint unwahrscheinlich, denn dann lag ein zweiter Gelöbnistag am 16. August (Rochus), an dem auch die 100jährige Gedächtnisfeier des Bestandes und der Einweihung stattfinden wird, viel näher. Nach dem Anlaß der Entstehung muß man wohl annehmen, dass sie der Mutter Gottes geweiht ist, auf deren Fürbitte die Katharina Schnaubelt ihre Gesundheit erlangt hat. Diese Anschauung wird dann gestützt durch ein kleines über dem Tabernakelkreuz befindliches, auf goldenem Hintergrunde gemaltes Madonnenbild, das die Inschrift trägt: „S.Maria Major“. Völlig bewiesen wird diese Annahme durch das schon erwähnte Weidenauer „Pfarrbuch“, wo auf Seite acht zu lesen ist: „Die Capelle zu Großkrosse ist unter dem Titul der allerseligsten Jungfrau und Mutter Gottes Maria, mit fürstbischoflicher Erlaubniß Von mir, Pfarrer Josef Schuberth, Benediziert worden.“
Am Mittwoch, dem 4. Juni 1862 bekommt der Sohn des Johann Filpe (II.2) , Josef Filpe, Nachwuchs. Nur fünf Tage vor dem zweiten Geburtstag ihres ersten Sohnes, Albert Filpe (IV.1), bekommen Josef (III.2) und Sofie Filpe (geborene Samen) in Jungferndorf Nr. 22 die ersten dokumentierten Zwillinge der Familien Filpe. Sie wurden am selben Tage auf die Namen Anna (IV.2) und Karoline (IV.3) getauft. Karoline stirbt jedoch noch im Säuglingsalter.
Konsequent verfolgt Bismarck sein Ziel, Deutschland unter preußischer Führung zu vereinigen. Dazu nutzt er alle Mittel diplomatischer Kunst. Verlangt es die Vernunft, schwenkt er vom harten Verhandlungskurs auf eine moderate Gangart um, gibt sich liebenswürdig und täuscht den Gegner. So im Dezember 1862, als er dem österreichischen Botschafter in Berlin, Graf Karolyi, in scharfen Tönen seine politischen Visionen der Einigung Deutschlands und den Platz Österreichs dabei darlegt. Kaum zwei Monate später erkennt Karolyi den nun freundlichen und zuvorkommenden Bismarck nicht wieder, denn der hat in der Zwischenzeit erfahren, dass es bei einem Waffengang gegen Österreich weder mit der Hilfe Frankreichs noch der Italiens rechnen dürfe. Somit legt er seinen Plan zur Seite, zeigt sich leutselig und wartet ab. Von seiner geheimen Kontaktaufnahme mit Paris und Rom weiß man im Außenministerium auf dem Wieder Ballhausplatz natürlich nichts.
Unsere Familie in Jungferndorf Nr. 22, im Hause des Josef Filpe (III.2), Sohn des Johann Filpe (II.2) und der Theresia (geborene Brauner) und seiner Ehefrau Sofie (geborene Samen) bekommt am Samstag, den 18. Juli 1863 ihr drittes Kind und zweiten Sohn, Emil Filpe (IV.4). Er wird am Sonntag, den 19. Juli 1863 getauft. Derweil beschäftigt sich Österreich mit einem Plan, den Deutschen Bund von Grund auf zu reformieren. Die Reforminitiative bleibt streng geheim. Selbst die Länderministerien werden über sie nicht informiert. Auf höchster Ebene, mit den Landesfürsten persönlich, soll beraten werden und dazu wird für den 16. August 1863 ein Fürstenkongress in Frankfurt einberufen. Fraglich ist nur, ob einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Staaten, König Wilhelm I. Von Preußen, bereit sein wird zu erscheinen, weiß man doch um die ablehnende Haltung Bismarcks zu allen Reformvorschlägen, die aus den österreichischen Kanzleien kommen. Kaiser Franz Joseph I. Nimmt daher am 3. August 1863 die Chance wahr, den zur Kur in Gastein weilenden König Wilhelm zu besuchen und ihn mündlich zur Fürstenversammlung einzuladen. Wilhelm zögert, bringt Vor- und Einwände, wünscht zum Beispiel eine vorgeschaltete Außenministerkonferenz, ist jedoch grundsätzlich am Treffen interessiert. Bismarck dagegen versucht - wie erwartet - mit aller Überzeugungskraft seinen Monarchen von der Teilnahme abzubringen, die doch nur der Stärkung der österreichischen Position im Bund dienen soll. Fürs Erste siegt jedoch monarchische Solidarität, und der Kanzler zieht sich grollend zurück. Die Ungeschicklichkeit österreichischer Diplomaten spielt ihm schließlich doch in die Hände. Ein zeremonieller Fehler verletzt den Stolz des Königs. Kaum von der Besprechung mit Franz Joseph zurückgekehrt, überbringt ihm auch schon ein kaiserlicher Flügeladjutant die formelle Einladung: die Einwände Wilhelms sind nicht berücksichtigt worden. Erbost sagt Wilhelm seine Teilnahme am Kongress ab. Trotzdem nehmen die Vorbereitungen für das Fürstentreffen einen günstigen Lauf. Die Österreichische Reforminitiative wird in Deutschland freudig begrüßt. Die alte Sehnsucht nach Reichstradition und großdeutsche Stärke erwacht wieder und hoffnungsfroh, notiert der Dichter Friedrich Hebbel: „Jetzt wird Deutschland sich einigen und mit den deutschen Provinzen Österreichs ein großes Reich bilden. Was soll es mit all den kleinen Königen, Herzogen, Kurfürsten, die müssen vor der künftigen Majestät ihre Krönlein ablegen und die Vasallen eines mächtigen deutschen Kaisers werden. Ich will dann eine Reichshymne dichten, die mit den Worten begönne: Gott vernichte, Gott zerspalte Grenzenpfähle, Länderschranken.“
Und tatsächlich Franz Joseph, der im einfachen offenen Zweispänner durch Frankfurt zum schwarz-rot-golden prächtig beflaggten Bundespalais fährt, wird mit ungeheurem Jubel empfangen. Nur fünf von insgesamt 35 eingeladenen Fürsten folgen König Wilhelm und sagen die Teilnahme ab. Am 18. August 1863 beginnen die Beratungen. Die österreichischen Vorschläge sind vielfältig: Sie sehen für den Deutschen Bund ein fünfköpfiges Direktorium vor, weiterhin eine neben dem Bundestag periodisch tagende Fürstenversammlung, einen Bundesrat, eine alle drei Jahre zusammentretende Versammlung von Abgeordneten aller Landtage und ein oberstes Bundesgericht. Den Vorsitz im Direktorium und im Bundesrat soll Österreich übernehmen. Bismarck stellt Gegenforderungen: Er verlangt für Preußen die volle Gleichberechtigung im Bundesvorsitz, ein Vetorecht für die Mittelstaaten im Falle einer Kriegserklärung des Bundes und eine aus allgemeinen und direkten Wahlen hervorgegangene Nationalvertretung. Dieser letzte Punkt ist für den Vielvölkerstaat Österreich unannehmbar, die deutsche Bevölkerung ist zahlenmäßig den anderen Nationalitäten im Kaiserstaat unterlegen, die Donaumonarchie wäre in ihrem Bestand bedroht. Österreich stimmt daher dieser Forderung nicht zu und Bismarck weist ruhigen Gewissens die österreichische Reforminitiative zurück. Ohne Preußen aber folgen die deutschen Fürsten der Klein- und Mittelstaaten dem Vorschlag Österreichs nicht. So endet der Fürstentag ergebnislos, der letzte Versuch Österreichs auf die Geschicke Deutschlands einzuwirken scheitert.
Ein Konflikt an der Peripherie des Deutschen Bundes führt die beiden deutschen Großmächte wieder zusammen: Ende 1863 lebt die Schleswig-Holstein Krise erneut auf. Der dänische König nimmt im März 1863 einen neuen Anlauf: Er stellt die 1852 im 2. Londoner Protokoll vereinbarte dänisch-schleswighosteinische Personalunion in Frage und fordert Revision. Ohne auf die Antwort der Großmächte zu warten, erklärt er am 30. März 1863, die Herzogtümer Schleswig und Holstein seinem Königreich einverleiben zu wollen. Im November stirbt der kinderlos gebliebene König und laut dänischer Verfassung wird Schleswig zum Bestandteil des dänischen Königreichs. Da Dänemarks König als Herzog von Holstein Mitglied des Deutschen Bundes ist, verstößt dieser Akt gegen das Bundesrecht, das keinem Land erlaubt, ein anderes zu annektieren. Am 7. Dezember 1863 fällt mit einer Stimme Mehrheit im Bundestag die Entscheidung zur Bundesexekuion.
Einen Tag nachdem die Entscheidung auf eine kriegerische Antwort gefallen ist, wird in Großkrosse Nr. 5 an Mariä Empfängnis, am Dienstag, den 8. Dezember 1863 unsere Alttante Magdalena Filpe (IV.12) geboren. Die Eltern Johann Filpe (III.18; unser Altgroßonkel) und seine Ehefrau Karoline (geborene Hannig) lassen ihr zweites Kind und erste Tochter am Mittwoch, den 9. Dezember 1863 in Großkrosse taufen. Erzpriester Josef Schwach, der in seinem ersten Amtjahr die Gemeinde Weidenau betreut, nimmt die Taufe vor. Er stammt als Sohn wohlhabender Eltern aus Olbersdorf und hatte vor seinem Amtsantritt in Weidenau während der Hungersnot um 1848 sein väterliches Erbe unter die Notleidenden verteilt und genoß seit dem den Ruf eines Wohltäters.
Am 1. Februar 1864 rücken die Bundestruppen über die dänische Grenze. Der Krieg dauert bis in den August. Die dänische Verteidigung leistet der preußisch-österreichischen Übermacht erheblichen Widerstand. Wirkungsvoll greift die dänische Flotte Hamburg an und blockiert die deutschen Häfen. Die österreichische Adriaflotte, von Wilhelm von Tegetthoff kommandiert, siegt schließlich am 9. Mai 1864 vor Helgoland. Auf britische Vermittlung hin beendet der Friede von Wien am 30. Oktober 1864 den unsinnigen Waffengang. Die jahrzehntelange preußisch-österreichische Rivalität im Deutschen Bund wird durch die Kooperation im Krieg gegen Dänemark nur kurz unterbrochen. Nach dem Ende der Kriegesallianz steht das Verhältnis der beiden deutschen Mächte zueinander und dem Bund gegenüber erneut zur Diskussion.
So verfahren die Situation ist, so spricht doch noch manches für den Erhalt des friedlichen preußisch-österreichischen Dualismus. Im salzburgischen Bad Gastein gibt sich Bismarck gesprächsbereit und vereinbart mit Österreich am 14. August 1865 die Gasteiner Konvention, die die Verwaltungsteilung der Elbherzogtümer regelt. Holstein fällt in die Hände Österreichs, Schleswig in die Kompetenz Preußens. Gutgläubig setzen die Österreicher ihre Unterschrift auf das Papier, doch sie ahnen nicht, dass sie soeben Holstein aus der Hand gegeben haben. Von preußischen Ländern umgeben, von preußischer Infrastruktur durchzogen und weit weg von Österreich, kann Holstein auf Dauer nicht von Wien gehalten werden.
In Österreich-Schlesien, im direkten Grenzgebiet zwischen Österreich und Preußen kommt derweil in Großkrosse Nr. 5 am Montag, den 30. Oktober 1865 unsere Alttante Anna Filpe (IV.13) zur Welt. Sie ist die zweite Tochter und drittes Kind unseres Altgroßonkels Johann (III.18) und seiner Ehefrau, unserer Altgroßtante, Karoline Filpe und wird an Allerheiligen am 1. November 1865 in Großkrosse getauft. Die Taufe wird von Dr. Karl Wache, dem seit diesem Jahr in Weidenau tätigen Erzpriesters und fürstbischöflichen Kommissars, vollzogen. Schon 12 Tage später, am Montag, den 13. November 1865 wird in Jungferndorf Nr. 22 unser Altonkel Josef Filpe (IV.5) als Sohn unseres Altgroßonkels Josef Filpe (III.2) und Ehefrau Sofie (geborene Samen) geboren. Josef (IV.5) wird am 14. November 1865 in Jungferndorf getauft.
„Der Bruderkrieg“
Österreich hat Holstein, wie berichtet, verspielt und damit Prestige bei den deutschen Mittelstaaten verloren. Wien hat ihrer Meinung nach das patriotische Projekt, den holsteiner Augustenburger Fürsten auf den Thron zu heben, schmählich verraten. Dieser wartet nicht mehr länger auf seinen Anspruch und agitiert lautstark mit Billigung Österreichs unter dem Schutz österreichischer Bajonette gegen Preußen. Die Kriegsgefahr wächst, das Fass steht vor dem Überlaufen. Den letzten Tropfen liefert eine Massenversammlung in Altona bei Hamburg am 23. Januar 1866. Eine aufgebrachte Menschenmenge fordert die Einberufung der schleswig-holsteinischen Stände. Dagegen protestiert Preußen energisch und Österreich wehrt in gleich scharfer Form mit der Begründung ab, es dulde keine Einmischung in die Verwaltung Holsteins. Kaum vier Wochen später, am 28. Februar 1866, erklärt der preußische Kronrat das Ende der friedlichen Kooperation und dass alle diplomatischen Maßnahmen für den Kriegsfall einzuleiten seien. Außenpolitisch ist der Zeitpunkt gut gewählt. Die großen Mächte ringen mit eingenen Problemen. Bismarck kann außerdem den französischen Kaiser für sein Vorgehen gegen Österreich gewinnen.
Die Entscheidung über Schleswig-Holstein fällt am 1. Juni 1866 im Bundestag. Die Wiener Regierung kündigt in Frankfurt an, sie wolle die Erbfolge in Holstein dem Entscheid des Bundes überlassen. Preußen protestiert heftig und verweist auf die Gasteiner Konvention, die ein preußisches Mitbestimmungsrecht beinhaltet. Während dieser Kontroverse fällt in Berlin der Befehl zum Einmarsch preußischer Truppen in Holstein. Österreich fordert daraufhin am 11. Juni 1866 im Bundestag „zum Schutze der inneren Sicherheit Deutschlands und der bedrohten Rechte seiner Bundesglieder“ die Mobilmachung der sieben nichtpreußischen Korps der Bundesarmee gegen Preußen. Bismarck reagiert ähnlich: Er richtet am 16. Juni gleich lautende Noten an 19 norddeutsche Staaten und kann innerhalb weniger Tage 17 davon zum Marsch gegen Österreich und seine Verbündeten bewegen. Dieser weitere Verstoß gegen die Bundesverfassung bedeutet das Ende des Deutschen Bundes.
Dieser Konflikt betrifft unsere Familien Filpe besonders, denn sie leben im direkten Grenzgebiet zum preußischen Teil Schlesiens. Mittlerweile sind auch einige Familienmitglieder auf Grund der wirtschlaftlichen Krisen Österreichs nach preußisch Schlesien übergesiedelt. Die Grenze verlief seit der Teilung Schlesiens 1743 (siehe dazu auch unsere Familienchronik ab Seite Sieben) direkt nördlich von Weidenau. Somit fielen die damals noch zu Weidenau gehörenden Dörfer Schubertskrosse, Arnsdorf, Tannenberg und Wiesau an Preußen und man zerriß damals schon Familienverbände. Die wirtschaftliche Stärke des preußischen Teils Schlesiens - begünstigt durch die Reformen der preußischen Könige ab Friedrich dem Großen - zog also auch einige Filpes über die „Grenze“ von Österreich nach Preußen. Die Tatsache, dass in den Kirchenbüchern von Jungferndorf oder Weidenau-Großkrosse von einigen Söhnen der Familien Filpe keinerlei Nachkommen verzeichnet sind, könnte entweder heißen, dass sie in andere Dörfer um Weidenau zogen oder aus wirtschaftlichen Gründen, was wahrscheinlicher ist, nach preußisch Schlesien auswanderten. Dies könnte allein schon in unserem Stammbaum nach Michael Filpe der Fall sein bei den Söhnen nach Johann Joseph Martinus Filpe, nämlich Johann Filpe (geb.24.10.1831), Franz Filpe (geb. 1.12.1844), Anton Filpe (geb. 3.3.1846), den Söhnen nach Anton Franz Filpe (geb.27.05.1804): Albert Filpe (geb.21.1.1837) und Ernest Filpe (geb.27.3.1839), Joseph Filpe (geb. 19.1.1844). Desweiteren dürfte Franciscus Filpe (geb. 9.8.1806) nebst Ehefrau Maria (geb. Jung) und seinem ersten Sohn Franz (geb. 20.2.1827) nach preußisch Schlesien ausgewandert sein.
Auf der Seite der Heimat Österreich-Schlesien könnten aus unserem Stammbaum nach Michael Filpe folgende seiner Enkel im österreichischen Heer gekämpft haben: Ebenfalls der Sohn von Johann Joseph Martinus Filpe (geb. 8.11.1802), Joseph Filpe (geb. 14.3.1835). Die Söhne unseres Altvaters Alois Filpe (geb. 31.8.1811), unser Urururgroßvater Ferdinand Filpe (geb. um 1845), seine Brüder Johann Filpe (um 1835), Anton Filpe (geb. um 1850), und Albert Filpe. Der Sohn der Veronica Filpe (geb. 24.4.1816), Franz Filpe (geb. 11.2.1840). Speziell in der Familie nach Anton Filpe (geb. um 1850) wird bis in die Gegenwart davon berichtet, dass Anton im Krieg gegen seine eigenen Cousins, wie z.B. Joseph Filpe (geb. 14.3.1835) und Franz Filpe (geb. 11.2.1840) kämpfen mußte, die demzufolge im preußischen Heer kämpften.
Auf dem deutschen Kriegsschauplatz stehen die Österreicher und ihre Verbündeten - Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen, Hannover, Kurhessen und Hessen-Darmstadt sowie einige kleine Bundesmitglieder - mit 475.000 Mann den 302.000 Soldaten Preußens und seiner Alliierten gegenüber. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Österreicher bereitet Bismarck Sorge. Daher plant er für den Fall eines ungünstigen Kriegsveralufs für Preußen, die Tschechen, Südslawen, Italiener und Ungarn der Donaumonarchie zum Aufstand anzustachel, um Wien doch noch zur Aufgabe zu zwingen. Doch dazu kommt es nicht. Sein Generalstabschef Helmuth von Moltke beweist strategisches Können und starkes Selbstbewusstsein und ist damit dem österreichischen Oberkommandierenden Ludwig von Benedek weit überlegen. Das Fehlen der Verfügungsgewalt über die alliierten Truppen hindert Benedek freilich, die volle Kampfkraft zu entwickeln. Die Weigerung Bayerns, an einem gemeinsamen Operationsplan mitzuarbeiten und den auf dem Hauptkriegsschauplatz in Böhmen bedrängten Österreichern zu Hilfe zu kommen, trägt zur Niederlage bei. Genau nach Moltkes Plan fällt die militärische Entscheidung in Böhmen. Die preußische Elbarmee dringt nach Österreich (Böhmen) ein und trifft am 26. Juni 1866 in Hühnerwasser auf die österreichischen Verbände, dann weiter östlich in Gitschin, trifft die Preußische I. Armee aus dem grenznahen Preußen am 29. Juni 1866 zum Gefecht ein . Beide Verbände mit dem Stoßziel Königgrätz. Hinzu kommt am 3. Juli die II. Preußische Armee, die nun zusammen mit den zwei anderen preußischen Verbänden vor Königgrätz stehen. Am Morgen des 3. Juli 1866 stehen nahe der Ortschaft Sadowa einander jeweils 200.000 Mann der Preußen und der Österreicher gegenüber. Am Abend desselben Tages ist der Krieg entschieden, die geschlagenen Österreicher treten den Rückzug an. 44.000 Mann sind tot, verwundet oder gefangen, die Preußen haben 9200 Soldaten verloren. Den raschen Sieg bei vergeleichsweise geringen Verlusten bewirkte nicht nur die vorzügliche taktische Führung, sondern auch das seit 1855 in der preußischen Armee verwendete „Zündnadelgewehr M 41“. Die Schussgeschwindigkeit dieser Waffe übertrifft jene des veralteten österreichischen Hinterladers um mehr als das Dreifache. König Wilhelm I., selbst Oberbefehlshaber der preußischen Armee, ist zusammen mit seinem Generalstabschef von Moltke und Bismarck, auf dem Roskos-Berge über dem Schlachtfeld anwesend. Von dort beobachtete er bangen Herzens das blutige Schauspiel, das sich dort unten zu seinen Füßen abspielte. Er schildert in einem Brief an seine Frau, Königin Augusta, seine Eindrücke von der Schlacht bei Königgrätz: „Als ich in einem kleinen Dorfe Dub zu Pferde stieg, regnete es und dauerte dasselbe mit langen Unterbrechungen den Tag über an. Schon bei den Truppen vorüberfahrend, wurde ich fortwährend mit Hurrah begrüßt. Das Gefecht fing so eben 8 Uhr mit Artilleriefeuer des 2.Corps an, als ich in Sadowa ankam... Jetzt brachen unsere Cavallerie-Regimenter vor, es kam zu einem mörderischen Cavallerie-Gefecht vor meinen Augen... und das Gefechtsfeld, das ich gleich darauf beschritt, sah fürchterlich aus von zerhauenen Österreichern, todt und lebend. So concurrierte dann wieder die Infanterie bis zum Thalrande der Elbe, wo jenseits dieses Flusses noch sehr heftiges Granatfeuer erfolgte, in das auch ich gerieth, aus dem mich Bismarck ernstlich entfernte. Ich ritt nun noch immer umher, um noch ungesehene Truppen zu begrüßen, wo ich Murius, Württemberg und Bonin auch antraf. Alle diese Wiedersehen waren unbeschreiblich!!... Wie sah das Schlachtfeld aus! Wir zählten 35 Kanonen; es schienen über fünfzig genommen zu sein, mehrere Fahnen. Alles lag voller Gewehre, Tornister, Taschen; wir rechnen bis heute 12.000 Gefangene; hier befinden sich 20 gefangene Offiziere. Aber nun den Revers der Medaille: Unser Verlust ist noch nicht ermittelt, er wird hoch sein... In welcher Aufregung ich war, kannst Du Dir denken! Und zwar in der gemischtesten Art!...“
Italien, das vertragsgemäß mit dem preußischen Einmarsch in Böhmen ebenfalls zu den Waffen greift, erleidet Schlappe um Schlappe. Trotz der Erfolge auf dem italienischen Kriegsschauplatz halten die Militärs in Wien die Weiterführung des Krieges für aussichtslos, Kaiser Franz Joseph I. Ersucht den Waffenstillstand. So sachlich Bismarck den nationalen Krieg vom Zaun brach, so beendet er ihn auch. Er lehnt jeden territorialen Gewinn auf Kosten Österreichs ab. Wichtiger ist ihn ein rascher Friedensschluss, um einer doch noch möglichen Einmischung Frankreichs oder Rußlands zuvorzukommen. Am 14. Juli 1866 liegen Bismarcks Vorstellungen von der „Neuen Ordnung“ Mitteleuropas auf dem Tisch des französischen Kaisers Napoleon III. Bismarck versteht es geschickt, sie als französische Bedingungen hinzustellen: Auflösung des Deutschen Bundes, Umgestaltung der deutschen Länder ohne Beteiligung Österreichs, Gründung des „Norddeutschen Bundes“ und Vereinigung der Elbherzogtümer Schleswig und Holstein mit Preußen. Napoleon III. Stimmt in allen Punkten zu. Die Abschaffung der hannoverschen Krone muss Bismarck allerdings in heftigen Diskussionen mit seinem Monarchen, Wilhelm I., erstreiten. Zu tief sitzt bei diesem noch das monarchische Solidaritätsbewusstsein, das die Liquidierung eines Herrschaftshauses, wie dem der Welfen, nicht so einfach hinnehmen will. König Wilhelm I. Von Preußen fordert stattdessen von seinem Kanzler die „Züchtigung“ Österreichs und Sachsens, denen er die Schuld am Ausbruch des Krieges anlastet. Doch Bismarck besteht auf deren territoriale Integriät, nur sie garantiere einen dauerhaften Frieden, meint der Kanzler. Der Vorfriede von Niklosburg vom 26. Juli 1866 und der Friede von Prag vom 23. August 1866 beenden den Kriegszustand zwischen Österreich und Preußen. Dieses schwere Jahr 1866 belastete unsere Vorfahren, was man auch daran erkennt, dass 1866 kein Filpe geboren wurde!
Während Preußen nun Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt und Schleswig-Holstein annektiert und am 18. August 1866 unter seiner Vorherrschaft der „Norddeutsche Bund“ - die Vorstufe der deutschen Reichsgründung - aus der Taufe gehoben wird, geht Napoleon III. Leer aus. Darüber hinaus drängen Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt, durch die französischen Drohgebärden geängstigt, ins preußische Lager. Noch im Herbst 1866 schließen sie geheime Militärverträge, die im Verteidigungsfall eine Unterstellung ihrer Streitkräfte unter preußischen Oberbefehl vorsehen. Wie erwartet protestiert auch Rußland gegen den preußischen Machtgewinn. Die Entthronung ganzer Herrscherhäuser, so begründet der Zar, schwäche das monarchische System in Europa und leiste der Revolution Vorschub. Doch Bismarck kann auch ihn beschwichtigen und der Zar lenkt ein.
Die ledige 24 jährige Tochter, Franziska Filpe (IV.1), der Eheleute Josef Filpe (III.4) und Veronika (geborene Wolf) bekommt am Mittwoch, den 2. Januar 1867 in Jungferndorf Nr. 105, dem Berghof an der Straße nach Annaberg, ihr erstes Kind, einen Sohn. Das Kind wird jedoch tot geboren und bekommt keinen Namenseintrag ins Kirchenbuch von Jungferndorf. Unehelich Geborene gehören in damaligen Jahren zur Regel, etwa jedes achte Kind wird unehelich geboren. Dieser Umstand ist nicht auf liederlichen Lebenswandel, sondern auf staatliche Regelungen zurückzuführen. Die Obrigkeit versucht, durch Heiratsbeschränkungen eine Bevölkerungsvermehrung einzudämmen, mit dem Erfolg, dass zum Beispiel in Bayern der Anteil der unehelich Geborenen in manchen Landesteilen 25% in München und Nürnberg fast 50% erreicht.
Am 12. Februar 1867 wird der konstituierende Reichstag des „Norddeutschen Bundes“ in allgmeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen gewählt. Wahlberechtigt sind Männer über 25 Jahre. Nach der Zustimmung der Einzelstaaten tritt am 1. Juli 1867 die Bundesverfassung in Kraft. Die Regierungsgewalt obliegt dem Bundesrat, der preußische König wird Bundespräsident, Bismarck Kanzler, Rudolf Delbrück sein Präsidialsekretär.
Der 2. Weihnachtstag des Jahres 1867, ein Donnerstag, wird zum Geburtstag unserer Alttante Emma Filpe (IV.6), dritteTochter und sechstes Kind von Altgroßonkel Josef Filpe (III.2) und Altgroßtante Sofie (geborene Samen), und demzufolge Enkelin Johann Filpe (II.2) und Theresia (geborene Brauner). Johann Filpe (II.2) scheint entweder 1866 oder 1867 gestorben zu sein, da sein 32jähriger Sohn Josef Filpe (III.2) nun das Elternhaus Jungferndorf Nr. 84 bewohnt und demnach wohl geerbt hat. Josef (III.2) und Sofie Filpe müssen mit ihren vier Kindern von Haus Nr. 22 ins Haus Nr. 84 zwischen Dezember 1865 und Dezember 1867 umgezogen sein, wo nun auch die kleine Emma Filpe (IV.6) geboren wurde. Sie stirbt jedoch auch im Säuglingsalter, was im Kirchenbuch lediglich mit einem Kreuze ohne näheren Eintrag gekennzeichnet wird. Noch zwei Tage vor ihrer Geburt feierten unsere Ahnen den Heiligen Abend. Im Weidenauer Ländchen ist seit Anfang des 19. Jahrhunderts ein Lied in der Christnacht populär, das nur in Weidenau aufgeführt wurde und demnach dürfte es nur für die Christnacht in Weidenau geschaffen worden sein. Textdichter und Komponist des Liedes sind unbekannt. Die Vierzeiler trug ein Solist vor und der Chor der Hirten antwortete. Der Text ist in der vorliegenden Fassung 1932 von Frau Sofie Kuntschki niedergeschrieben worden; auch wenn Noten und damit die Melodie nicht gerettet werden konnten, sollen die Worte künden von festlichen Stunden im Land unserer Väter, sowie von Glaube und Hoffnung.
Christnacht in Weidenau
Lauft Ihr Brüder, lauft herzu, schaut hier gibt´s was Neues.
Macht Euch munter ohne Ruh, ist es gut, so sei es so.
Es muß wohl in jenem Winkel etwas feines wachten,
Brüder nehmt die Schäferspickel, wir woll´n es betrachten.
Tragst du nun so groß Verlangen, o du fromme Hirtenschar.
Komm nur freudig hergegangen, stelle dich was näher dar.
Wunder über Wunder wirst Du sehen, wenn du in den Stall jetzt wirst eingehen.
Ein wahrhaft göttlich Kind, sich in diesem Stall befind.
Selbst das himmlische Gesind, dieses Wunder nicht ergründ.
Siehe, eine Jungfrau hat geboren, ihre Reinigkeit doch nicht verloren,
denn es zeigt der Himmelsbot´, daß es sei Gott Sabaoth,
der uns retten wird vom Tod, wie uns längst versprochen Gott.
Ei habt Dank Ihr Brüder mein, daß wir endlich wissen,
was das für ein Kind mag sein, wir wollen es nun grüßen.
Wird wohl der Erlöser sein, der bei Isaia
kommt von einer Jungfrau rein, laut der Prophezeia.
Ja, du hast es recht verstanden, du gute Hirtenzunft,
denn das Heil ist schon vorhanden, wie bezeuget die Vernunft.
Ei so komme eilends hergegangen, stille mein Begierd und groß´ Verlangen.
In der Krippe auf dem Heu liegt es nackend, bloß und frei.
Seiner Mutter zarte Lieb´ erwecket, die von Ewigkeit ist unbeflecket.
Kniet dorten voller Freud, weinet auch vor Herzeleid,
denn die harte Winterszeit bringet große Dürtigkeit.
Ei du Kind und wahrer Gott, wie ist es geschehen,
daß du in so großer Not in den Stall mußt gehen.
War denn in der Stadt kein Haus, wo du konntest bleiben,
warum mußt du denn hinaus, wer tut dich vertreiben?
Ach, es ist wohl zu beweinen, daß des ewigen Gottes Sohn
bei den auserwählten Seinen, fande nichts als Spott und Hohn.
Aus Ägypten er mit ihnen reiste, in der Wüste mit dem Manna speiste,
der durch seine Wundertat ihn´ viel Gut´s erzeiget hat.
Weil die Juden dich nicht wollen kennen und ihren Messias auch nicht nennen.
Ei, so eilet diese Stund, betet an mit Herz und Mund.
Singt noch eins aus Herzensgrund, weil´s der Heiland Euch vergönnt.
Ehre sei Gott in der Höh´, Lob und Preis zusammen,
hier schmeckt süße alles Weh in der Liebe Flammen.
Weil du hier im kalten Stalle liegest ganz erfroren
und regierest über alle, mach uns neugeboren.
Gib der ganzen Christenheit, was sie hat vonnöten,
Ruh´ und Fried´ zu aller Zeit, wie wir dich gebeten.
Hunger, Pest und Kriegesnot wollest du abwenden,
du bist unser Herr und Gott, wirst uns Hilfe senden.
O, du Brot von Bethlehem, unsre Sünd´ verzeihe,
zeige uns Jerusalem und uns benedeie.
O, du allerschönster Knabe, dir wir uns ergeben,
unsre arme Seele labe, mit dem ewigen Leben.
Amen
In Jungferndorf Nr. 84, im Hause unseres Altgroßonkels Josef Filpe (III.2)und seiner Ehefrau Sofie (geborene Samen), wird an Allerheiligen, Sonntag, dem 1. November 1868 ihre vierte Tochter und siebtes Kind geboren. Sie wird am selben Tage auf den Namen Emilie Filpe (IV.7)getauft. Die Kleine stirbt jedoch noch vor Mai des Jahres 1869. Allerheiligen, das Fest der Toten, wurde in Gedenken an die Verwandten und Vorfahren in ernst-feierlicher Stimmung begangen. Der Friedhof war ein Meer aus Natur- und Kunstblumen; die schönen, oft wertvollen Grabdenkmäler, darunter alte, kunstvoll geschmiedete Eisenkreuze, waren mit Kränzen reich geschmückt, und in den Laternen flackerten die Lichter. Auch auf den Gräbern selbst waren kleine dicke Kerzen in großer Zahl angezündet. Auf den Dörfern war es Brauch, die Grabhügel mit Waldmoos zu belegen; in diesen grünen Teppich wurden Kunstblumen gelegt, die in Heimabend in den Bauernstuben von Mädchen und Frauen aus verschiedenfarbigen Seidenpapier hergestellt worden waren. Wildfrüchte, wie Schnee- oder Eisbeeren, Hagebutten, Schlehen usw., sowie Tannen- und Kiefernzweige dienten als Grabschmuck. Weithin sah man von den umliegenden Hügeln die reich mit Kerzen beleuchteten Gräber auf den Dorffriedhöfen, ein wehmutsvoller Anblick. Männerchöre brachten auf dem Friedhof stimmungsvolle Lieder zum Vortrag.
Ein Unglück ereilt am Donnerstag, den 11. März 1869 die Familie Josef Filpe (III.2) und Sofie (geborene Samen). Ihr dreijähriger Sohn, Josef (IV.5), stirbt an diesem Tage in Jungferndorf. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Unfall, leider ist nichts genaueres bekannt. Somit mußte das Ehepaar Josef und Sofie Filpe, beide Mittdreißiger, bereits zum vierten Male die Sterbeglocke in Jungferndorf für eines ihrer Kinder läuten hören. Dieses Läuten für die Verstorbenen nannte man „Ausläuten“. Aus der Zahl der Anschläge konnte man das Geschlecht des Verstorbenen erkennen, ob Mann, ob Frau, ob Kind. Der Tod der Bauern wurde den Haustieren mitgeteilt; schliefen sie, so wurden sie geweckt. An den Bienenstöcken wurde geklopft. Das Begräbnis fand in der Regel am dritten Tage statt. Die Trauerfarbe war schwarz. In schwarzer oder wenigstens dunkler Kleidung sprach man den Hinterbliebenen das Beileid aus. Die Aufbahrung fand, wenigstens in früherer Zeit, im Hause statt, erst später in Städten in Leichenhallen. Dabei umrahmten Kränze aus Natur- oder Kunstblumen, meist mit Schleifen, auf denen manchmal Sprüche standen, den Katafalk. An der Spitze des Leichenzuges wurde das Kreuz mit dem Heiland getragen; daran befanden sich Schleifen, die bei Kindern weiß, bei Ledigen blau, bei Verheirateten schwarz waren. Auf den Dörfern war allgemein Leichenschmaus üblich, manchmal mit Gesang (Lieblingslieder) und Tanz.
Seit 1860 sind im Jungferndorfer Geburts- und Taufbuch nur noch Geburten der Eheleute Josef Filpe (III.2) und Sofie (geborene Samen) verzeichnet, was darauf schließen läßt, dass wohl fast alle jungen Filpes in andere Orte zogen. Unsere Vorfahren, die Nachkommen des Alois Filpe (II.7), sind ja bereits um 1830 Großkrosse umgesiedelt, so sind in den Geburts- und Taufbüchern von Großkrosse ab 1862 alle Geburten unserer Filpe-Linie zuzuschreiben.
Am Montag, den 31. Januar 1870 wird in Jungferndorf Nr. 84 den Eheleuten Josef (III.2) und Sofie Filpe wiederum eine Tochter geboren. Da ihre jüngste Tochter zwischen November 1868 und Mai 1869 verstorben ist, lassen die Eltern ihre neugeborene Tochter ebenfalls auf den Namen Emilie Filpe (IV.8) taufen. Am Tage ihrer Geburt und Taufe, dem 31. Januar 1870 kommt es um 16.27 Uhr zu einer Sonnenfinsternis.
Bereits ein halbes Jahr später, am 19. Juli 1870, erklärt Frankreich Preußen den Krieg. Diese Kriegserklärung wurzelt u.a. im österreichisch-preußischen Konflikt von 1866: Damals erlaubte der Sieg Preußens eine Machterweiterung Berlins auf norddeutsche Staaten und die Gründung des Norddeutschen Bundes. In Paris fürchtete man nun die Vorherrschaft Preußens. Zudem wird die Kandidatur Fürst Leopolds aus dem preußischen Haus Hohenzollern auf den durch Revolution verwaisten spanischen Thron in Frankreich mit Empörung aufgenommen. Als die darüber geführten geheimen Verhandlungen zwischen Madrid und Berlin bekannt werden, verstimmt sich Frankreich endgültig, da es nun vom preußischen Einfluß umschlossen ist. Die Bevölkerung beider Seiten erfasst eine begeisterte patriotische Erregung. Tatsächlich anerkennen die süddeutschten Staaten den Bündnisfall und ziehen an der Seite der Truppen des Norddeutschen Bundes gegen Frankreich.
Aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit der deutschen Soldaten zu Beginn des Krieges erfolgt der Zug auf Paris sehr zügig. Es wird belagert und nach viermonatiger Gegenwehr am 28. Januar 1871 besetzt. Am 26. Februar 1871 erfolgt der Vorfriede in Schloss Versailles.
Nach dem Triumph über Frankreich schwelgen die Deutschen auf den höchsten Wolken patriotischer nationaler Gefühle. Die nationale Einigungsbewegung bekommt wieder auftrieb und unter Bismarcks Verhandlungen schließen sich alle deutschen Staaten (ohne Österreich) zum Deutschen Reich zusammen. Eine Abordnung des Norddeutschen Bundes bietet König Wilhelm I. Von Preußen die Kaiserkrone an und er nimmt sie entgegen. Am 1. Januar 1871 treten die Beitrittsverträge in Kraft und das Deutsche Reich wird zu einem Bundesstaat - die Einzelstaaten bleiben bestehen. In großen Teilen Deutschlands begrüßt das Volk die Reichsgründung mit Jubel. Die nationale Sehnsucht von Generationen hat sich erfüllt. Am 18. Januar 1871 erfolgt im Spiegelsaal von Versailles die Proklamtion des Königs von Preußen zum Kaiser des Deutschen Reiches. Das Datum hat seine eigene Symbolkraft: Vor genau 170 Jahren krönte sich Friedrich I. Zum König in Preußen, zum ersten preußischen König überhaupt. Die Kaiserkrönung im Palast des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Gestaltet sich zu einem Aufmarsch deutscher Fürsten in gewichsten Stiefeln, Paradehelmen und –uniformen. Der nicht zu übersehende militärische Charakter des Festaktes macht deutlich, was die liberal-demokratischen Kreise so sehr bedrückt: Nicht auf dem Ergebnis eines vom Volk getroffenen Entscheides gründet sich das neue Reich, sondern auf „Blut und Eisen“. Selbst der neue Kaiser, Wilhelm I., fühlt sich nicht wohl. Am Abend vor der Proklamation sagt er: „Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens. Wir begraben die preußische Monarchie, und Sie, Fürst Bismarck, tragen dafür die Verantwortung.“
Rund ein halbes Jahr später, am Mittwoch, den 14. Juni 1871 , kommt es in Großkrosse zu einem schlimmen Ereignis. Unsere Altgroßtante Karoline Filpe (geborene Hannig) und unser Altgroßonkel der Schneider Johann Filpe (III.18) müssen erleben, dass ihr Töchterchen, Emilie Filpe (IV.14), tot zur Welt kommt.
Johanns Bruder, Ferdinand Filpe (III.19), der unser Altgroßvater ist, lebt ebenfalls in Großkrosse. Er bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau, unserer Altgroßmutter Karoline, geborene Wagner das Haus Nr. 103 am Südufer der Weide zwischen den Flußbrücken Stenzelsteig und Ratzkesteig. Wahrscheinlich wohnt(e) hier auch sein Vater, der Schneider Alois Filpe (II.7), da das Haus 103 bis zur späteren Vertreibung der Deutschen 1945 eine Schneiderei war und zuletzt dem Schneider Emil Ratzke gehörte. Nebenan, im Haus Nr. 125, war zuletzt die Schusterei Göbel.
Karoline Filpe, geborene Wagner, ist die Tochter des Johann Wagner und der Johanna, geborene Hannig, aus Gurschdorf. Ferdinand (III.19) und Karoline dürften um 1870 geheiratet haben und am Sonntag, den 8. Oktober 1871 zur Nacht wird ihnen ihr erstes Kind, ihr Sohn, Johann Filpe (IV.17) im Haus Nr. 103 in Großkrosse geboren. Er wird am 9. Oktober 1871 in Großkrosse getauft. Doch das Elternglück währt nicht sehr lange: Am Freitag, den 17. Mai 1872 stirbt mit nur sieben Monaten, Johann Filpe (IV.17), der Erstgeborene des Ferdinand Filpe in Großkrosse den plötzlichen Kindstod.
Im Deutschen Reich lädt Reichskanzler Bismarck vom 5. bis 11. September 1872 den russischen Zaren Alexander II. Und Kaiser Franz Joseph I. Von Österreich-Ungarn zu einem Gespräch mit Kaiser Wilhelm I. Nach Berlin ein. Grund ist eine angestrebte „Heilige Allianz“ wie 1815, da Bismarck um die Sicherheit des Deutschen Reiches bangt, falls Frankreich nach der Niederlage von 1871 wieder in stabile Verhältnisse zurückfindet und mit einer Revanche zu rechnen ist. Und es gelingt: Die Monarchen der drei Länder mit „schwarzem Adler“ im Wappen demonstrieren nach Jahrzehnten heftiger Differenzen wieder Einmütigkeit.
Im Jahr 1873 kommt es in Österreich zum „großen Börsenkrach von Wien“, der eine Wirtschaftskrise auslöst, die auch das Deutsche Reich erfaßt, das die ersten Jahre nach der Reichsgründung einen außerordentlichen Wirtschaftsaufschwung erlebte. Kursstürze an den Börsen lassen Banken zusammenbrechen und viele Firmen in den Ruin treiben. Die Hochkonjunktur der Gründerjahre ist vorbei, erst 1896 endet diese als „Große Depression“ bezeichnete wirtschaftliche Abschwungphase.
Unsere Altgroßeltern, Ferdinand (III.19) und Karoline Filpe, werden nach dem schweren Verlust ihres Erstgeborenen erneut mit einem Kind gesegnet. Am 19. April 1873 dem Weißen Samstag wird ihre Tochter, Maria Filpe (IV.18), in Großkrosse geboren. Im Gottesdienst am Sonntag, den 20. April 1873 wird die kleine Maria dann in Großkrosse getauft.
Der dritte Bruder im Bunde, Albert Filpe (III.21), Sohn des Schneiders Alois Filpe (II.7), dürfte um 1872 die aus Stachelwitz, Kreis Freiwaldau stammende Anna Buchmann geheiratet haben. Sie ist die Tochter des aus Stachelwitz stammenden Franz Buchmann und seiner Ehefrau Madgdalena, geborene Henkel, die in Altrothwasser geboren wurde. Albert (III.21) und seine Frau Anna wohnen im Haus Nr. 8 in Großkrosse, das direkt am Nordufer der Weide liegt, wo der Mühlengraben, der die neu gegründete Steinmühle flußabwärts antreibt, von der Weide abzweigt. Das Grundstück ist somit von zwei Wasserläufen „umspült“ und liegt nahe der Habichtgasse. Albert Filpe (III.21) war wohl der erste Filpe, der als Steinmetz arbeitete, doch in folgenden Generationen wird es noch mehrere Männer geben, die als Steinmetze in einem steinverarbeitenden Betrieb arbeiten oder als Steinarbeiter im Steinbruch.
Albert (III.21) war in dem erst kürzlich 1873 vom Steinmetzmeister Johann Zothe gegründeten ersten Steinmetzbetrieb im Weidenauer Gebiet in der ehemaligen „Raschke-Mühle“ in Großkrosse, unweit seines Wohnhauses, tätig. Der dazugehörige Bruchbetrieb war in Setzdorf. Im Gegensatz zum benachbarten Friedeberger-Setzdorfer Gebiet wurden im Weidenauer nur wenige Granitbrüche aufgemacht und dementsprechend wenige Verarbeitungsbetriebe, weil das Granitmassiv hier tiefer liegt und weil hier ein Teil des Granits in Kaolin umgewandelt wurde.
Der Betrieb nahm einen schnellen Aufschwung, nicht nur durch den guten Absatz im Inland, sondern auch in Deutschland besonders durch die Lieferungen zu den großen Festungs-, Kasernen- und Hafen-Bauten.
Am Montag, den 15. Dezember 1873 wird den Eheleuten Albert (III.21) und Anna Filpe dann in ihrem Haus Nr. 8 in Großkrosse ihr erstes Kind, ihre Tochter Agnes Filpe (IV.26) geboren, die am 16. Dezember 1873 getauft wird.
Unsere Altgroßeltern Ferdinand (III.19) und Karoline Filpe bekommen in Großkrosse Nr. 103 am Mittwoch, den 7. April 1875 ihr drittes Kind und nach dem Tode ihres Erstgeborenen vor drei Jahren ihren Stammhalter, unseren Altvater Ferdinand Filpe (IV.19). Er wird am selben Tage auf den Namen seines Vaters in Großkrosse getauft.
Im Juli 1875 kommt es zum Aufstand in Bosnien-Herzegowina gegen die osmanische Verwaltung. Der Aufstand wir von Montenegro und Serbien kräftig unterstützt, greift auch auf Bulgarien über. Der osmanische Sultan lädt Ende 1876 die Botschafter der europäischen Mächte in Konstantinopel zu einer Botschafterkonferenz ein, um die Lage auf dem Balkan zu erörtern. Er befürchtet nämlich ein Eingreifen der europäischen Mächte zugunsten ihrer christlichen Glaubensbrüder. Das Osmanische Reich ist wegen hoher Schulden in Europa vom Wohlwollen der europäischen Mächte abhängig und so verkündet der Sultan die Abschaffung seiner Autokratie und die Einführung einer parlamentarischen Verfassung. Sie garantiert Religionsfreiheit und stellt den Zugang zu öffentlichen Ämtern für Nichtmuslime, wie Christen und Juden, in Aussicht. Doch Europa ist nicht zufrieden und Russland übt weiterhin massiven Druck auf das Osmanische Reich aus und erzwingt unter Androhung militärischen Eingreifens die Angriffe auf Serbien einzustellen. Im Frühjahr 1877 diktieren die Westmächte im „Londoner Protokoll“ ihre Bedingungen. Wie nicht anders zu erwarten lehnt Konstantinopel die schweren Eingriffe in seine staatliche Souveränität ab. Russland sieht in Österreich auf dem Balkan trotz des „Dreikaiserabkommens“ noch immer einen starken Rivalen. Da sich aber Deutschland nicht zu einer erhofften antiösterreichischen Politik drängen läßt, versucht es, sich mit Österreich zu verständigen. Am 15. Januar 1877 schließen Wien und St.Petersburg die „Konvention von Budapest“. Für neutrales Verhalten soll Österreich-Ungarn im Falle eines russischen Sieges über das Osmanische Reich das Recht erhalten, den Augenblick für die Besetzung Bosniens und der Herzegowina durch seine Truppen und die Art dieser Besetzung zu bestimmen.
Russland erklärt dem Osmanischen Reich am 24. April 1877 den Krieg und nach hartnäckigem Widerstand, weichen die osmanischen Truppen zurück.
In Großkrosse Nr. 103 kommt derweil am Mittwoch, den 16. Januar 1878 das vierte Kind unserer Altgroßeltern Ferdinand (III.19) und Karoline Filpe zur Welt. Es ist ihr zweiter Sohn Josef (IV.20), der am selben Tage in Großkrosse getauft wird.
Die russische Armee steht vor Konstantinopel. Um seine Hauptstadt zu retten, geht der Sultan am 3. März 1878 den Vorfrieden von San Stefano ein: Er bedeutet für das Osmanische Reich den Verlust beinahe aller Provinzen der europäischen Türkei. Das ruft den Widerstand der anderen europäischen Großmächte, vor allem Österreich-Ungarns und Großbritaniens, hervor, die dem einseitigen Machtzuwachs Russlands mit Nachdruck ihr Veto entgegenstellen. Jetzt tritt das Deutsche Reich auf den Plan. Mit Österreich-Ungarn und Russland in der „Allianz der Monarchen“ von 1873 verbündet, bietet es eine Mittlerrolle an. Bismarck lädt zum Berliner Kongress (13.Juni bis 13. Juli 1878) unter seinem Vorsitz ein. Die Mächte einigen sich und ein europäischer Krieg wegen der offenen Fragen auf dem Balkan ist noch einmal abgewendet. Doch die Kompromisse bergen neue Konfliktherde, die die Großmächte entzweien können. Schon am 15. August 1879 ist es soweit: Russland fühlt sich betrogen und im sogenannten „Ohrfeigenbrief“ an Kaiser Wilhelm I. Drückt Zar Alexander II. Sein Befremden über das seiner Meinung nach schmähliche Verhalten Bismarcks gegenüber einem Verbündeten aus. Alexander II. Prophezeit „traurige Folgen“ für die bisher guten „freundnachbarlichen Beziehungen“ zwischen dem russischen Zarenreich und dem deutschen Kaiserreich.